Was ist Human & Organizational Performance (HOP)?
Wo ist das Problem?
Technische Systeme, die uns bei der Arbeit schützen sollen, werden immer ausgeklügelter. Trotzdem passieren immer noch Unfälle. Nicht selten liegt dann die Schlussfolgerung nahe, dass die Ursache von unerwünschten Ereignissen und Arbeitsunfällen beim Menschen zu suchen ist. Daraus entsteht, dass wir Fehlverhalten sanktionieren, sei es durch Schuldzuweisungen, unnötige Nachschulungen oder gar Abmahnungen.
Die Folgen: Fehler werden verschwiegen, Kennzahlen werden manipuliert, (dieselben) Unfälle passieren immer wieder, eine kulturelle Negativspirale setzt sich in Gang. Dadurch wird eine kontinuierliche Verbesserung des Arbeitsschutzes nahezu unmöglich und eine gesunde Unternehmenskultur, in der Sicherheit eine wichtige Rolle spielt, wird im Keim erstickt. Die Kultur der Schuldzuweisung ist gescheitert
Mit HOP und seinem wissenschaftlich fundierten Ansatz geht es nun darum, menschliches Verhalten, organisatorische Systeme und Technologie zusammenzubringen und zu verstehen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Wir wissen und wir erkennen an, dass Arbeitsprozesse ein fragiles System sind, in dem Entscheidungen, Unklarheiten, Improvisation, Zielkonflikte, Erschwernisse und letztlich auch Fehler an der Tagesordnung sind. Das Ziel mit HOP ist es, Risiken zu erkennen und zu bekämpfen, bevor es zu unerwünschten Ereignissen oder Arbeitsunfällen kommt. Dafür braucht es mehr als nur die klassischen Tools zur Ereignisanalyse oder Gefährdungsbeurteilung. Und vor allem brauchen wir die Beschäftigten als Experten – und nicht als Übeltäter.
Ursprung und Entwicklung von HOP
Die Entwicklung von HOP basiert auf der Erforschung der Human Performance (HP) in der Luftfahrt- und Kernkraftindustrie. Dabei wurde nach Gründen für menschliches Versagen bei Zwischenfällen und technischen Katastrophen gesucht. Das Ergebnis war, dass in den meisten Fällen nicht ein einzelner Mensch für das Unglück verantwortlich war. Die vermeintlich Verantwortlichen waren lediglich die Auslöser und das letzte Glied in einer Ereigniskette, bei der es stets auch organisatorische Ursachen gab. Um diesem Umstand gerecht zu werden und den Fokus von den menschlichen Fähigkeiten und Limitierungen zu nehmen, wurde der Begriff zu Human and Organizational Performance (HOP) weiterentwickelt. Die offensichtliche Hervorhebung des organisatorischen Einflusses markierte einen Paradigmenwechsel in der Untersuchung von Ereignissen sowie in der Risikobewertung sozio-technischer Systeme.
HOP ist ein Paradigmenwechsel
HOP stellt keine Methode dar, sondern vielmehr eine Art zu denken und eine Art, wie wir die Zusammenarbeit in einem Unternehmen gestalten. Es betont den Stellenwert derer, die die Arbeit in unseren Unternehmen verrichten: die Beschäftigten. HOP gibt ihnen die notwendige Wertschätzung ihres umfassenden Wissens über die Art und Weise, wie der Betrieb läuft, anstatt nur zu Empfängern und Anwendern von vom Schreibtisch aus gemachten Regeln zu werden. Für den Erfolg von HOP ist es daher essenziell, in den grundlegenden Überzeugungen aller Hierarchieebenen nach den Faktoren zu suchen, die eine offene Sicherheitskultur fördern. Erst wenn die HOP-Prinzipien verstanden und gelebt werden, kann sich das Verhalten und somit die Ergebnisse des Unternehmens verändern.
Die Wurzel von vermeintlich durch den Menschen verursachten Unfällen und Fehlern suchen AnwenderInnen von HOP ganz gezielt in den Organisatorischen Aspekten der Arbeit und bekämpfen diese. Mit den Kenntnissen über die wichtigsten menschlichen Faktoren im Arbeitsschutz kann eine völlig neue Ursache-Wirkungs-Beziehung hergestellt werden. Der Untersuchungsprozess hört nicht dann auf, wenn alle Zeigefinger auf „menschliches Versagen“ gerichtet sind, sondern beginnt dann erst richtig, in die Tiefe zu gehen und die dahintersteckenden Systemfehler aufzuspüren.
Indem wir die Prinzipien von HOP in unsere tägliche Arbeit integrieren, schaffen wir nicht nur eine sicherere Umgebung, sondern auch eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Zusammenarbeit. Denn letztendlich geht es um mehr als nur um Sicherheit – es geht um eine bessere Arbeitswelt für uns alle.
Die fünf HOP-Prinzipien
Die HOP-Philosophie basiert auf fünf grundlegenden Prinzipien.
Prinzip 1: Menschen machen Fehler
HOP akzeptiert menschliche Fehler als natürliche Gegebenheit. Es erkennt an, dass trotz bester Absichten Fehler manchmal unvermeidbar sind und es darauf ankommt, aus ihnen zu lernen und ihre Konsequenzen abzumildern. Wir brauchen also fehlertolerante Systeme und Prozesse, in denen sich Fehler nicht zu einem Unfall oder Schaden entwickeln können!
Prinzip 2: Schuldzuweisungen bringen nichts
HOP vermeidet Schuldzuweisungen. Anstatt einzelne Personen für Fehler verantwortlich zu machen, konzentriert es sich darauf, die tieferliegenden Gründe für Fehler zu verstehen und präventive Maßnahmen zu entwickeln. Die zentrale Fragestellung lautet: Durch welche Umstände und begünstigenden Faktoren erachtetet die Person ihre (Fehl-)Entscheidung oder Handlung in dem Moment als sinnvoll?
Prinzip 3: Der Kontext bestimmt das Verhalten
HOP berücksichtigt den Einfluss des Arbeitsumfelds und der Organisation auf menschliches Verhalten. Es analysiert nicht nur das Verhalten der an einem Ereignis beteiligten Beschäftigten isoliert, sondern betrachtet es im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen und organisatorischen Faktoren im Gesamtkontext. Mit HOP hinterfragen wir bei einem Ereignis also insbesondere, ob unter den gegebenen Umständen zum gegebenen Zeitpunkt und mit den vorliegenden Informationen auch andere Menschen genau so hätten handeln können.
Prinzip 4: Lernen ist (überlebens-)wichtig
In einer sich ständig verändernden Arbeitswelt ist Anpassungsfähigkeit entscheidend. Hier bringt HOP das Konzept des kontinuierlichen Lernens ins Spiel. Fehler werden als Chancen betrachtet, zu lernen und sich zu verbessern. HOP betont dabei nicht nur die lebenswichtige Rolle des Lernens aus unerwünschten Ereignissen, sondern befasst sich mit den täglichen Herausforderungen der Arbeit, um daraus mögliche negative Auswirkungen zu antizipieren. Es fördert damit eine Kultur des kontinuierlichen Lernens, um zukünftige Vorfälle zu vermeiden und die Organisation widerstandsfähiger zu machen.
Prinzip 5: Die Reaktion auf Fehler ist entscheidend
Die Reaktion auf Fehler und Vorfälle kann den entscheidenden Unterschied machen. Statt in die Schuldfrage zu verfallen, geht es um eine proaktive, lernorientierte Herangehensweise. Das fördert nicht nur eine positive Fehlerkultur, sondern führt zu nachhaltigen Verbesserungen. Die Erfahrung zeigt: Wenn wir Fehlhandlungen bestrafen, verhindern wir diese nicht, sondern sorgen dafür, dass sie uns künftig verschwiegen werden. Ehrlich gelebte Offenheit und Lernbereitschaft auf allen Hierarchieebenen ist eine Grundvoraussetzung, um Fehler frei ansprechen und aus ihnen lernen zu können.
Anwendungsbereiche von HOP
Die Anwendung von HOP ist in einer Vielzahl von Branchen weltweit zu beobachten, darunter der Energiesektor, die Petrochemie, produzierende Branchen sowie das Gesundheitswesen und die Logistik. HOP zeichnet sich dadurch aus, dass es sich um einen hoch adaptiven Ansatz handelt, der auch den sich wandelnden Anforderungen moderner Organisationen gerecht wird. Infolgedessen hat sich HOP nun auch in Deutschland etabliert und wird trotz seiner vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten nach wie vor am stärksten durch den Arbeitsschutz in die Betriebe getragen. Fachkräfte für Arbeitssicherheit und andere EHS-Fachleute spielen daher eine entscheidende Rolle bei der Einführung und Anwendung sowie bei der Darstellung der Umsetzungserfolge. Die geeignetsten Mittel, um HOP in die ersten Prozesse einzubringen, sind die Unfalluntersuchung („Wie geht es weiter, wenn wir menschliches Versagen erkannt haben?“), die Begehung („Wo lauern Schwachstellen und Fehlerfallen?“) und die Gefährdungsbeurteilung („Welche Risiken lauern im Verborgenen und wie können wir uns wirksam davor schützen?“).
Fazit
Eine effektive Arbeitsschutzstrategie erfordert eine veränderte Denkweise und verbesserte Praktiken, die der Komplexität moderner Arbeitssysteme gerecht werden. Die Implementierung der HOP-Prinzipien bietet eine Möglichkeit, diese Verbesserungen zu erreichen. HOP legt seinen Fokus auf die menschlichen Fähigkeiten und Grenzen als Gestaltungsmerkmal effektiver und resilienter Arbeitssysteme. Die Anerkennung systemischer Ursachen für Mängel, Fehler und Unfälle eröffnet einen breiteren Rahmen für die Kommunikation über Sicherheit und sichere Arbeitspraktiken, sowie die Etablierung von Achtsamkeit und Risikokompetenz.
Das Ziel ist neben der Beseitigung von Hindernissen auch die Aufrechterhaltung bewährter Praktiken. Durch HOP wird die gesamte Organisation anpassungsfähiger und es wird ein täglicher Lernprozess kultiviert. HOP macht Arbeitsschutz nicht länger zu einer isolierten Initiative, sondern zu einer wesentlichen Säule des Unternehmenserfolgs, die eng mit der Produktivität und Wertschöpfung verbunden ist.